Page 25 - LEX Magazin 1-2017
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Kolumne von Laufexperte Björn Weier
Laufen wie Kipsang
Die Szene waberte nun schon seit Monaten in mei- nem Kopf herum und verschaffte mir miese Laune. Es war rund zweihundert Meter vor der Zielli-
nie des Volkslaufs gewesen. Ich war gut unterwegs, die Maschine lief wie geschmiert und ich mobilisier- te die letzten Reserven. Heute würde die persönli- che Bestzeit fallen, daran konnte es jetzt keinen Zweifel mehr geben. Ich fühlte mich großartig, als ich dem Zielbanner entgegenflog. Doch just in die- sem Moment geschah es plötzlich. Ein korpulenter Mit-Dreißiger mit roten Fußball-Shorts und Bayern- Trikot joggte an mir vorbei und überquerte jubelnd vor mir die Ziellinie. Gedemütigt kam ich wenig später ins Ziel. Meine Zeit? Egal – ich war besiegt von einem vermutlich talentfreien Freizeitkicker mit „Müller – 13“ Trikot! Ich konnte es nicht fassen. Noch Tage später verspürte ich keine Lust mehr aufs Laufen. Wozu auch? Ich war ein hoffnungsloser Fall auf dem Laufniveau einer Seegurke. Wobei selbst die mich bestimmt noch geschlagen hätte...
Es dauerte zwei Wochen, bis mein Kampfgeist wie- der erwachte. Ich war Läufer, ich würde zurück- schlagen. Dann musste ich eben noch schneller werden. Daher entwickelte ich einen Plan, der mich schnell wie Kipsang oder Bekele werden lassen wür- de. Zunächst galt es, die Technik der Afrikaner zu kopieren. Regelmäßige Videoanalysen ver- schafften mir ein Gefühl dafür. Per Vor- stellungskraft wähnte ich mich bei
meinen Trainingsrunden von nun an im Körper von Wilson Kipsang. „Laufen wie Kipsang“ war von nun an mein Mantra. Anfangs fühlte es sich noch unrund an,
da ich mir mein Wohlstands- bäuchlein wegdenken musste,
doch dann wurde ich lockerer.
Die Anmeldung in einem Leicht- athletikverein war mein nächster Schachzug. Regelmäßiges Intervall- training unter Anleitung sollte aus
dem lockeren Kipsang nun auch einen schnellen Kipsang machen. Wochenlang war die 400m-Runde mein gefühltes neues Zuhause. Ich schoss über die rote Tartanbahn und holte mir sogar ein Lob unse- res knurrigen Trainers ab: „Sieht ja schon mal nach Laufen aus....“. Aber würde das für ein Kaliber wie „Müller-13“ reichen? Um nichts dem Zufall zu über- lassen, machte ich aus der Sache noch eine Mate- rialschlacht. Hautenge Kompressionskleidung soll- te aus meinen 90 Kg die letzten Prozentpunkte an Leistung herauskitzeln. Mithilfe der Teilnehmerlis- ten diverser Läufe fand ich heraus, dass „Müller-13“ sich beim Silvesterlauf angemeldet hatte. Perfekt, hier würde es zum Showdown kommen.
Und so stand ich, eingepellt in meine Kompressions- kleidung und mit Adrenalin bis zum Anschlag an der Startlinie. Ich ließ meinen Blick schweifen und sah ihn – „Müller-13“, diesmal allerdings mit dem Trikot „Lahm-21“. Passend ausgewählt, schoss es mir durch den Kopf und ich musste lächeln. Dann fiel der Startschuss und die Meute setzte sich in Bewe- gung.VonBeginnanfixierteichmeinenGegnerund ließ ihn nicht mehr aus den Augen. Laufen wie Kip- sang, ich war locker und schnell, hatte alles im Griff. Die letzten Kilometer musste ich kämpfen, um mein
Tempo zu halten, aber ich sah auch „Müll- ler-13“ die Anstrengung an. Er litt min- destens genauso und das war gut. Mental bin ich stärker keuchte ich vor mich hin. Einige Meter vor dem Ziel riskierte ich ei- nen Blick zurück und wusste, ich würde es schaffen. Das Gesicht meines Rivalen war nun so rot, wie sein Trikot. Er war geschlagen. Just in diesem Moment zog eine dürre Mit-Fünfzigerin an mir vorbei und überquerte eine Handbreit vor mir die Ziellinie. Egal, ich war ein Held – irgendwie.
TRAINING MOKTOILVUATMIONNE
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