Page 21 - LEX Magazin 1-2017
P. 21

TITELGESCHICHTE
INTERVIEW STRESS(BEWÄLTIGUNG)
Gefangen im Hamsterrad? –
Wege aus dem Stress
Interview mit der Dipl. Psychologin Katja Witthöft
Frau Witthöft arbeitet im Herz- und Ge- fäßzentrum Bad Bevensen. Ihre täglichen Patienten sind in der Regel wegen eines Herzinfarkts oder einer Gefäßerkrankung in der Rehaklinik in Bad Bevensen.
LEX Magazin: Wie hoch schätzen Sie den Anteil des Faktors Stress auf Herz-Kreislauferkrankun- gen ein?
Frau Witthöft: „Das ist schwer einzuschätzen, da es von Patient zu Patient ganz unterschiedlich sein kann. In der Regel ist die Ursache der Erkrankung eine Mischung aus mehreren Risikofaktoren. Da spielen auch erbliche Einflüsse, Ernährung, Bewe- gung etc. eine Rolle. Mein Eindruck ist dennoch, dass der Stress bei vielen Patienten die Hauptursa- che darstellt. Der Trend geht zu einer immer hö- her ansteigenden subjektiven Stressbelastung. Nicht selten fällt bei unseren Patienten der Begriff ‚Hamsterrad‘.“
Haben Sie das Gefühl, dass Stress seiner Bedeu- tung entsprechend in der Therapie berücksichtigt wird?
„Das Wissen, dass Stress ein starker Risikofaktor ist, hat sich in der Schulmedizin mittlerweile weitge- hend durchgesetzt. In unserer Klinik bieten wir da- her Entspannungs- und Stressbewältigungskurse, beruflich orientierte Angebote und Einzelgespräche zu dieser Thematik an.“
Wie misst man Stress?
„Man kann die während der Stressreaktion ablau- fenden körperlichen Prozesse messen, z.B. die Höhe des Blutdrucks, des Hautwiderstands oder den Anteil der Stresshormone im Blut. Für uns per- sönlich ist jedoch die subjektive Wahrnehmung bedeutsamer. Hier geht es darum, auftretende Warnsignale zu bemerken und ernst zu nehmen. Oft drücken wir die einfach weg, um zu funktionie- ren. Ständige Anspannung wird zum Normalzu- stand. Wenn wir dann die Warnsignale weiter igno- rieren, werden wir irgendwann krank - der Körper
zwingt uns in die Pause. Der Fragebogen von Kalu- za kann helfen, die Eigenwahrnehmung wieder zu sensibilisieren.“
Was ist das größte Problem bei Behandlung von Stress?
„In der Stressbewältigung versuchen wir, eine gute Balance zwischen Anspannung und Entspannung zu erreichen. Die moderne Gesellschaft mit ihren im- mer höheren Anforderungen an den Einzelnen, der Technisierung, Informationsflut, ständigen Erreich- barkeit usw. hält jedoch eine Fülle von Stressauslö- sern bereit – wir spannen uns also laufend an. Die Möglichkeiten, den Stress dann – wie in der Steinzeit – körperlich gleich wieder durch Kämpfen oder Ren- nen abzubauen und sich danach zu erholen und tief zu entspannen, sind eher gering. Hinzu kommt der sogenannte ‚selbstgemachte Stress‘, der in uns ent- steht, wenn wir z.B. schlecht ‚nein‘ sagen können, alles perfekt machen wollen und viel zu hohe An- sprüche an uns selbst stellen. Diese meist unbe- wussten Muster sind nicht so leicht zu erkennen und zu durchbrechen.“
Viele Menschen meinen, wenn Sie gestresst von der Arbeit kommen, entspannen sie sich bei einem Fernsehfilm vorm Einschlafen, ist das Ent- spannung? „Ehernicht.EsgibtzwarSendungen,dieunsguttun, z.B. Komödien, die uns zum Lachen bringen oder schöne Naturdokus. Wenn wir aber z.B. Nachrich- ten, Sportsendungen oder Krimis anschauen, ist das wieder Input, der für Anspannung sorgt. Um den Stress wirklich abzubauen, benötigen wir zunächst einmal ein Ventil für die körperliche Anspannung (z.B. Sport, Singen, Lachen, Schreien...). Und wir müssen dem Stress etwas gegenüberstellen, das uns Freude macht und uns mit neuer Kraft erfüllt. Das können gute Gespräche sein, Musik, Lesen, Entspan- nungsübungen, ein schönes Essen, Spaziergänge in der Natur, Kreativität usw.. Wenn dann bei uns ein Wohlbefinden entsteht, haben wir für den Stress- ausgleich und echte Entspannung gesorgt.“
21


































































































   19   20   21   22   23